Sonntag, 7. Januar 2007

Deutsche Gründlichkeit versus französisches Savoir Vivre

Le Carrefour de Textile, zu Deutsch "Der Kreuzweg des Stoffes", ist eines von jenen französischen Kleinstadt-Läden die, den modernen Innenarchitekten mit ihren Visionen von klaren und schnickschnack freien Linien sei Dank, vom Aussterben bedroht sind.

Le Carrefour de Textile in Pont Audmer
Von außen ist es ein wunderschönes altes, nostalgisches Geschäft, das mit seiner Auslage von modisch bunten Textilien in den riesigen Schaufenstern und über den hohen, bogenförmigen, breiten Eingang die Kunden zum Verweilen in eine heile Welt einlädt. In der die Mischung aus Stoffen, Knöpfen, Garnen, Wolle, Perlen, und Bastelsachen die charmante, aber still und leise vor sich hin alternde Hauptperson spielt.
Die neuen Produkte vermischen sich mit Waren und Utensilien aus einer längst vergangenen Ära.
Sollte einer auf die überdrehte Idee kommen die 80er Jahre wieder aufleben lassen zu wollen und für sein Jackett massive Schulterpolster suchen, wäre er hier genau richtig. Versteckt in einem braunen, fast auseinander fallenden Pappkarton hinter der Kasse,verdeckt von schwarz weiß roten Federboas, blasen die schaumgummiartigen Ungeheur Trübsal.
Alte Patchwork Musterbücher von vor Schieß mich Tod, stauben, gemeinsam mit Ballen des dazu gehörigen Materials in einer verwinkelten und vergessenen Ecke des Ladens gemächlich vor sich hin, völlig unbehelligt von der Tatsache, dass Schubladen, Lagerräume, Speicher, Büro und der Flur von einem heillosen Durcheinander verschlungen zu werden drohen!
Die wenigen noch selbst schneidernden Kunden, oder die, die es sich leisen können Gardinen nähen zu lassen, beschreiben das Geschäft als die Höhle des Ali Baba.
Wenn man nur lange genug sucht, findet man immer etwas, was man gebrauchen kann.
Die Unordnung scheint niemand so richtig wirklich zu stören.
Das gehört zum französischen Lifestyle.

Tja und dann kam ich.
Meine französische Nachbarin  und Angestellte dieser Höhle des Ali Babas suchte händeringend nach Aushilfspersonal, das hier und da mal mal stundenweise mit anpackte wenn Not am Mann war.
Die Kinder waren groß und den ganzen Tag in der Schule, von Scrapbooking hatte ich noch nichts gehört und so ab und an einfach mal unter Leute zu kommen, erschien mir großartig.
Ich krempelte somit die Hemdsärmel hoch und legte los!
Und wie jeder Neuanfänger, ging ich mit Enthusiasmus und einer gewaltigen Priese  
deutsch-arrogantem „Also ich würde den Laden hier ganz anders und viel effektiver organisieren!“ an die Arbeit.
Natürlich nicht ohne vorher zu fragen. Soviel Takt hatte ich.
Ich machte echt geile Vorschläge.
Dies und Jenes könnte man doch verändern, das Eine oder Andere hier hin räumen, und warum hatten die beiden Mädels, die dort schon seit 18 Jahren arbeiteten, nicht schon längst daran gedacht, es so oder so zu machen?
Doch der frische Wind, den ich glaubte einzubringen, wurde immer wieder abgeblockt.
Frustriert musste ich mir den permanent wiederkehrenden Satz anhören:
„C’est impossible! Das geht so nicht!“ inklusive langatmiger, mir völlig unverständlicher Erklärung, warum, wieso und weshalb nicht. 'Außerdem!', so die mit gallischem Schulterzucken begleitete Frage 'Warum soll man sich die Mühe machen ein System zu ändern, welches seit Jahren funktioniert?'

Eines Tages kam ich nach Hause und hatte Mörderfrust.
“Ich kapier’s einfach nicht!“ wetterte ich meinen verdutzten Mann an.
„Wie kann man nur so negativ sein? Himmel Herrschaft, dieser Laden ist eine Goldgrube! Das hat nur noch keiner kapiert. Die könnten Kohle ohne Ende machen! Warum geht immer alles nicht?!“
Mein Lieblingsschotte, eine wirklich treue Seele, hatte leider nur folgenden Spruch zu bieten:
„Well darling, welcome in the real world!“
„Well thank you very much! That  really helps.” murmelte ich unzufrieden vor mich hin und wünschte mir auf der Stelle, einen neuen verständnisvolleren Ehemann.
Musste der Schottengatte immer so ätzend pragmatisch sein?
Aber wie so oft in meinem Leben, hielt auch diesmal das Universum eine kleine Lektion für mich parat.

Mein Mann kam über Weihnachten nach Hause.
Nicht nur für ein Wochenende, wie sonst üblich, sondern für sage und schreibe drei Wochen am Stück! Da ich ja nun fast jeden Tag arbeitete, schmiss er - am Anfang noch sehr begeistert, das legte sich aber auch ganz schnell wieder -  den Haushalt.
Und regte sich mördermäßig über die liegengeblieben Wäscheberge auf.
Was er nicht wusste: meine Wäscheberge haben System!

Da mein Trockner seit ein paar Monaten den Dienst verweigerte - nach 10 Minuten fing er grundlos an zu piepsen und teilte völlig falsch aber unmissverständlich mit, dass der Filter voll sei- konnte ich entweder jeden Tag waschen, um dann mit permanent trocknender Wäsche in meinem Schlafzimmer zu leben, oder aber alles fein säuberlich sammeln, einmal alle zwei Wochen ein großes Wasch-Wochenende starten, und auf die Mithilfe von Sonne und Wind hoffen.
Ich wusch also meine Wäsche, stopfte  sie in den Trockner, wartete bis das blöde Ding zu piepen anfing und hängte dann die kochend heiße und dampfende Wäsche auf die Ständer im Garten.
Bügeln brauche ich so gut wie gar nicht mehr, da der heiße Dampf das schon für mich erledigt.  Die Wäsche wird zusammengelegt und das war’s.
Ein System, dass ich übrigens bis heute, trotz neuem und einwandfrei arbeitendem Trockner beibehalten habe.

Und nun kam der Schottengatte und wütete angesichts des vermeintlichen Wäschechaos.  Logischerweise, wie sollte es auch anders sein, durchschaute er die Sache mit dem Antrocknen und heiß Aufhängen überhaupt nicht.
Er wusch und wusch und wusch, und hängte die Wäsche irgendwie, "n’importe comment" auf die Leine. In seinem Eifer, alles in kürzester Zeit zu waschen, machte er sich leider nicht die Mühe zwischendrin zusammenzulegen, sondern häufte alles fein säuberlich auf das Bügelbrett.
Mit dem Ergebnis, dass ich einen absoluten Koller bekam, als ich die meter-hohen Berge von völlig verknitterten T-Shirts, Hosen und Pullis sah.
Und obwohl ich einen ganzen Sonntag damit verbrachte, zähneknirschend die Wäsche mit dem verhassten Bügeleisen wieder einigermaßen glatt zu bekommen, musste ich mich bei dem Schottengatten für das Wäschewaschen bedanken, der es ja nur gut gemeint hatte und mir helfen wollte. Der wiederum konnte sich die leicht kiebige Frage nicht verkneifen, warum ich es denn erst zu so einem Wäscheberg hatte kommen lassen.
„Weil meine Wäscheberge System haben!“ antwortete ich.
„Dieses Durcheinander soll System haben? Das glaube ich dir nie und nimmer!“ kam es als Antwort zurück!

Erkenntnis des Tages:
In einem vermeintlicher Chaos herrscht System.
Und wenn dann einer kommt, so wie eine Deutsche in einen französischen Laden beispielsweise, und meint, er könnte das Chaos beseitigen und alles viel besser machen, macht er es manchmal nur noch schlimmer. Die Damen, die im Carrefour de Textile arbeiten haben trotz der vermeintlichen Unordnung die sie umgibt, den absoluten Durchblick.
Und letztlich ist es ja  genau dieses Chaos, die den Charme dieses Ladens ausmacht.
Und wer bin ich, um anderen Menschen zu sagen, wie sie es besser machen sollten.

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