Mittwoch, 3. Oktober 2012

Wenn frau auf Reisen geht ...

... dann hat sie viel zu erzählen.
Vor allem dann, wenn besagte "Frau" Überraschungen abgrundtief hasst, niemandem zutraut, sich ohne sie richtig organisieren zu können und sie die Reise aus einem ihr völlig unerklärlichen Grund auf gar keinen Fall antreten möchte. Noch viel mehr zu erzählen hat sie, wenn sie sich nicht traut ihren Mund auf zumachen, um ihre merkwürdigen Vorahnungen kundzutun, da sie die Gefühle der Familienmitglieder, die ihr diese Reise zum Geburtstag schenken, nicht verletzen möchte und sie zu allem Übel auch noch durch die Blume informiert wird, dass es sich bei besagtem Geburtstags-Reise-Geschenk, um einen seit knapp einem Jahr geplanten Mini-Familien-Urlaub handelt.
Kann man es ihr da verdenken, dass sie sich, innerlich total zerrissen und tot unglücklich, gebeutelt von der Besorgnis, dass mit dem Reiseziel irgendetwas nicht stimmt, in der Nacht vor der geplanten Abreise regelrecht in den Schlaf heult?
Klingt hysterisch?
War ich auch.
Am Abend vor Reiseantritt starre ich auf meine neue Reisetasche inklusive von Kleine Tochter liebevoll selbst gestalteten Gutschein, auf dem geschrieben steht, dass ich mich um nichts zu kümmern brauche, alles sei arrangiert und ich könnte meine, von den Aufregungen der letzten Wochen geschundene Seele tiefen-entspannt baumeln lassen. Meine einzige Aufgabe sei es, mich lässig zurück zulehnen und zu genießen.
Spätestens da hätte ich misstrauisch werden sollen.
Meine Familie und hundertprozentig organisiert?
Das ist ein Widerspruch in sich!
Ich bin allerdings so damit beschäftigt, mich mit meinen sich wütend anbellenden inneren Schweinehunden, der eine sagt ich soll mich Himmelherrschaft doch freuen, der andere will partout nicht aus seiner Hütte, auseinander zu setzen, dass ich gar nicht auf die Idee komme, mal vorsichtig nachzufragen, ob sich meine Familie auch wirklich sicher sei, an alles gedacht zu haben und meine, über viele Jahre bewährte Reise-Checkliste vorsichtshalber doch mal durchgehe und abfrage.
Das rächt sich fürchterlich.
Ich erspare meinen netten Lesern an dieser Stelle die detaillierte Beschreibung meiner merkwürdigen Bedrückung, das Ausmaß meiner inneren Abneigung am nächsten Morgen in den vom Schottengatten organisierten Tourbus zu steigen und meiner absurden, mir eigentlich völlig untypischen Abwehr, mich einfach auf das Abenteuer mit unbekannten Ziel einzulassen.
Selbst eine Stunde nach Fahrtbeginn bessert sich meine Stimmung nicht wesentlich, auch dann nicht, als mir immer wieder glaubhaft versichert wird, dass sich eine zuverlässige Betreuung für das verlängerte Wochenende gefunden hat, die den heimischen "Zoo" bestens versorgt und ich mir keine Sorgen zu machen brauche.
Durch geschicktes Fragen und Beobachten der Autobahnschilder habe ich schnell das Reiseziel heraus. Mein Herz, welches mir schon vor Stunden in die Hose rutschte, kuschelt sich noch tiefer in die Falten meiner neuen Jeans. Hatten meine Kinder daran gedacht, dass mein Reisepass schon seit geraumer Zeit abgelaufen ist und ich einfach noch nicht die Zeit gefunden habe ihn  in der Deutschen Botschaft in Paris zu verlängern? Ich bezweifele stark, dass mich die Großen Briten, nur mit meiner französischen Aufenthaltsgenehmigung bewaffnet, in ihr Land lassen. Niedergeschlagen versuche ich, mich mit der Situation abzufinden, gute Miene zum vermeintlich bösen Spiel zu machen, mich auf London zu freuen. Doch so sehr ich mich auch bemühe, es gelingt mir nicht.
Warum ich mich innerlich so sehr sträubte, ist mir bis heute ein Rätsel und ich frage mich im Nachhinein, ob ich das, was dann passieren sollte, nicht regelrecht in mein Leben gerufen habe. Self-fulfilling prophecy nennt der Engländer das - eine sich selbst bewahrheitende Prophezeiung.
Wir sind mittlerweile in Calais angelangt und stehen vor der Einfahrt, die uns den Zugang zum Eurotunnel ermöglicht. Die Familie quasselt fröhlich und aufgeregt vor sich hin, außer mir versteht sich, und der Schottengatte fragt nach den Pässen.
Alle zücken ihre Ausweise, bis auf Sohnemann. Der ruft völlig konsterniert:
"Pass? Was für einen Pass! Keiner hat mir gesagt, dass ich einen Pass brauche! Den habe ich nicht dabei! Und wieso brauche ich einen Pass? England ist doch in Europa oder nicht? Wenn wir nach Deutschland fahren, habe ich auch nie einen Pass dabei!"
Der Ausruf hat das gleiche Ergebnis wie ein Bombe. Es herrscht betroffenes, entsetztes Schweigen.
"Das glaube ich jetzt nicht!" brummt der SchoGa wütend.
'Du nicht, aber ich schon!' denke ich, hüte mich aber das laut auszusprechen.
Wie jede gut organisierte Mutter einer Großfamilie, kümmere ich mich sonst darum, alle Papiere griffbereit zur Hand zu haben. Aber ich sollte mich ja tiefenentspannt zurücklehnen und meine Seele baumeln lassen ...
Da sass ich nun.
In der hintersten Ecke vom Tourbus. Und ich fühlte mich noch mieser als vorher.
Nicht nur, dass ich auf keinen Fall nach England wollte, jetzt hatte ich uns mit meiner gnadenlos miesen Laune auch noch ein unüberwindbares Hindernis via Sohnemann in den Weg "gezaubert". Dass nun aber ausgerechnet er als schwarzes Schaf würde herhalten müssen, ließ mein Mutterherz bluten. Er würde die Tatsache als "Spielverderber" dazu stehen und den Familienurlaub "verhindert" zu haben, mit Sicherheit nie wirklich verwinden können.
Ein abgelaufener Pass ist eine Sache, aber gar keinen dabei zu haben, ist nochmal was ganz anderes und ich wartete angespannt auf den Wutausbruch des schottischen Chef-Stinkstiefels. Überraschenderweise blieb der aus. SchoGa blieb cool und bewahrte Ruhe.
Vielleicht begriff er aber auch zum ersten Mal, was es heißt, so viele Leute unter einen Hut zu bringen und auch wirklich immer an alles und vor allem für alle zu denken.
Wir wurden gebeten aus zusteigen und uns in ein Nebengebäude zu begeben. Nach ewigem Hin und Her, langem Palaver mit der wirklich sehr freundlichen britischen Grenzpolizei und endlosen Warten auf dem zugig kalten Parkplatz, fiel das Urteil.
Ohne Pass kein England!
Europa hin wie Europa her, da sind die Briten gnadenlos.
Mein armer, völlig beschämter und zerknirschte Sohnemann hatte allerdings Glück in seinem Unglück: die Tatsache, dass er seinen Pass vergessen hatte und mein Pass abgelaufen war erschwerte die Situation zwar erheblich, war aber dann nicht allein ausschlaggebend für die Abfuhr. Fast noch schlimmer erschien den Briten, dass sich das knapp zweijährige Mondscheinbaby zwar mit dem Familienbuch ausweisen konnte, aber nicht im Pass ihrer Eltern stand. Eine vermeintliche Kindesentführung stand im Raum. Das war den Grenzkontrolleuren dann doch zu viel des "Guten" oder ich sollte vielleicht besser sagen des "Bösen", und sie baten ihre französischen Kollegen uns wieder ins gallische Hoheitsgebiet zu geleiten.
Während der Rest der Familie in absoluter Schockstarre verharrte, Kleine Tochter laut schniefend vor Wut und Enttäuschung vor sich hin heulte, SchoGa und Schwiegersohn abwechselnd in englisch und französisch vor sich hin fluchten, fragte ich mich insgeheim, warum uns das Universum nicht nur einen, sondern gleich drei "Wir-dürfen-nicht-nach-England-Gründe" eingebaut hatte. Ich schaltete mein Gehirn wieder an, sammelte meine Gedanken und übernahm endlich wieder das Ruder.
Ich verteilte die Anweisungen: SchoGa sollte das Hotel in London canceln, der Schwiegersohn anrufen, ob wir den Tourbus früher zurückbringen konnten und ich ...ich  machte endlich meinen Mund auf und bat meine Familie inständig mich nie wieder derart überraschen zu wollen.
"Ihr seht wo das hinführt" sagte ich. "Der Schuss geht voll nach hinten los"
"Der Tourbus lässt sich nicht canceln." verkündete Schwiegersohn.
"Das Hotel in London auch nicht." kam es vom SchoGa
"Gut! Das lässt sich jetzt nicht ändern. Dann lasst uns sehen, dass wir retten können, was zu retten ist. Wo können wir von hier aus hinfahren, ohne dass das Mondscheinbaby noch Stunden im Auto ausharren muss?
"Brüssel!" antwortete SchoGa. "Ich war dort vor ein paar Jahren und es ist eine sehr schöne Stadt. Durchaus sehenswert."
Brüssel!? Hmm! Da war ich noch nie und ich muss gestehen, dass es mir unter normalen Umständen auch nie in den Sinn gekommen wäre, die belgische Hauptstadt zu besuchen.
Ich kenne Brüssel nur aus schlechten französischen Witzen ... die Belgier sind für die Franzosen das, was für die Deutschen die Ostfriesen sind ... oder im Zusammenhang mit geldverprassenden und unbeliebte Entscheidungen treffenden Politikern.
Aber ich war mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem mir alles, was sich nur halbwegs gut in meiner Bauchregion anfühlte, recht sein sollte. Und Brüssel fühlte sich überraschenderweise sehr gut an. Das merkwürdige Ziehen in meiner Seelengegend war verschwunden und auch meine Laune verbesserte sich schlagartig. Ich spürte ein erleichtertes Lächeln auf meinen Lippen. Endlich hatte ich wieder die Kontrolle.
"Ja auf was warten wir dann noch? Auf nach Brüssel!" sagte ich.
Der SchoGa drehte den Zündschlüssel und warf den Tourbus an.
Wenige Minuten später fuhren wir auf der Autobahn Richtung Norden.

☺☺☺

3 Kommentare:

MarionK hat gesagt…

Oh je, das kommt davon, wenn man einen abgelaufenen Pass hat. Ich musste meinen vor Montpellier auch noch neu anfordern, der Perso war natürlich auch abgelaufen.
Brüssel ist wirklich klasse, da war ich auch schon.

Diana hat gesagt…

oh je das blanke Entsetzen, so ein Chaos.
Ich bin gespannt, ob es in Brüssel dann wenigstens schön war.

Maike Hempel hat gesagt…

Ein wirklich schöner Reisebericht, der Bock auf mehr macht. Gut, die "kleinen" Verhinderungen fand ich echt ein bissel gemein, so viel sollte nicht schiefgehen, aber es zeigt doch mal wieder eindeutig, welche "abgefahrenen Geschichten" das Leben schreibt.
Warte somit gespannt auf die Fortsetzung. Und Brüssel klingt spannend, da war ich lange bevor die die Stadt mit "Wir-wollen-die-Gurke-gerade-haben-Politikern" überschwemmt war. Bin sehr gespannt darauf, was es da an Neuigkeiten zu erfahren gibt.
Hoffentlich ohne Pannen, das wäre dann echt zu ungerecht...

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Kommentare salzen meine Bloggersuppe ...

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